Tagebuch

An der Außengrenze Europas, Januar 2016.

Ein Urlaubsparadies, Sonne, Meer und Strand und mittendrin:

Menschen, denen ihre Verzweiflung keinen anderen Weg offen ließ, als in einem kleinen Gummiboot (oder überfüllten Segelboot) den Wasserweg nach Europa zu wagen. Die Rettungswesten sind dabei irgendwie zum Symbol für verlorene Menschenleben und viele sinnlose Tode geworden. Wie ich hier bisher beobachten konnte, entledigen sich die Neuankömmlinge eigentlich immer an Land von ebendiesen und stapeln sie meist sogar sorgsam (wenn wir ihnen nicht aus ihnen heraushelfen müssen, weil die Gurte nur geknotet sind und sie mit ihren kalten Fingern diese Verschnürkünste nicht lösen können.) Daher bereitet mir inzwischen jede Weste, die im Wasser treibt, Bauchweh: hat sie der Wind vom Ufer dorthin befördert oder eine besonders hohe Welle oder steht tatsächlich jede einzelne von ihnen für ein weiteres sinnlos verlorenes Leben? Sinnlos nicht, weil ich die Reise nicht nachvollziehen kann, sinnlos aber diesbezüglich, dass unsere wahnsinnige Welt diese Todesopfer für Nichts und wieder Nichts fordert.

Eine Antwort auf diese Frage werde ich wohl nicht bekommen, verschluckt doch das Meer hier allzugern Menschen mit Haut und Haaren und gibt sie nicht mehr frei.